Wissenschaftskommunikation in einer (post-)pandemischen Welt: Die Galactic Chloé Show muss weitergehen!
Wenn Galactic Chloé – die Schweizer Studentin Chloé Carrière –nicht gerade von zu Hause aus studiert (und ihren Balkon in ein Labor für Weltraumanwendungen verwandelt), ist sie damit beschäftigt, Wissenschaftskommunikation über Astronomie, Astrophysik, Kosmologie, Weltraummissionen und Weltraumtechnik an die Öffentlichkeit zu betreiben.
Sie ist die Gründerin von Space@yourService, die «Astronomy on Tap»-Veranstaltungen in Lausanne organisiert und gerade die Mission «Asclepios» gestartet hat, eine Weltraummission zu einem anderen Himmelskörper. Chloé hostet ausserdem die Galactic Chloé Show auf Youtube und gewann kürzlich den Digitial Economy Award bei den Swiss DigitalDays. Den Sommer 2019 verbrachte sie bei swissnex in San Francisco.
Chloé, es ist toll, dich wieder zu treffen! Was hast du gemacht, seit du von deinem Aufenthalt bei swissnex San Francisco zurückgekehrt bist?
Ich habe vor kurzem meinen Bachelor in Physik abgeschlossen und mache jetzt meinen Master in Management of Technologies & Entrepreneurship im Hauptfach, sowie Space Technologies im Nebenfach. Ausserdem bin ich Gründerin und Präsidentin von Space@yourService, einer Non-Profit-Organisation, die ich vor etwa zwei Jahren ins Leben gerufen habe. Dies mit dem Ziel, Menschen für den Weltraum im Speziellen und für die Wissenschaft im Allgemeinen zu begeistern. Und wenn dann noch Zeit übrig ist, mache ich viel Pole Dance!
Es scheint, dass du sehr beschäftigt bist. Wie hat sich die Pandemie bisher auf deinen Alltag ausgewirkt?
Ach ja, und da ist ja noch COVID-19. Nun, die Motivation ist noch da und wird es immer bleiben! Man hat sowieso keine Wahl, denn die Konsequenz wäre einfach, dass all die tollen Projekte nicht weiterverfolgt würden. Ich stecke derzeit in der Schweiz fest, und meine Eltern sind in Frankreich «eingesperrt». Es war eine wirklich schwierige Entscheidung für mich, hierzubleiben, da ich meiner Familie sehr nahe stehe. Allerdings habe ich auch sehr viel erreicht, während wir alle zu Hause eingesperrt waren. Ich habe meinen Balkon in ein Weltraumlabor verwandelt.
Super! Kannst du uns ein bisschen mehr über deine laufenden Projekte erzählen?
Was mich im Moment beschäftigt, ist die grosse «Asclepios Mission». Es ist das Projekt einer Siedlung auf dem Mond, das ich gestartet hatte, als ich von meinem Aufenthalt bei swissnex San Francisco 2019 zurückkam. Die Resonanz war riesig: 60 Studenten aus aller Welt sind beteiligt, etwa die Hälfte von ihnen kommt aus der Schweiz. Wir hatten gehofft, unsere 10-tägige Mission im letzten April durchzuführen, aber dann schlug COVID-19 zu. So mussten wir sämtliche Aktivitäten bereits zweimal verschieben, was uns alle mental sehr gefordert hat. Das Schwierigste ist einfach, nicht zu wissen, wann die Mission durchführen können: Wir sind alle Studenten und hoffen, irgendwann «richtige Jobs» zu finden – uns läuft die Zeit davon, denn wir sind bald mit unserem Studium fertig.
Du hast erwähnt, dass 50% der beteiligten Studenten im Ausland leben und arbeiten. Wie hat die Pandemie die internationale Dimension der Mission verändert?
Nun, die Vorbereitungen und Vorarbeiten hätten ohnehin online stattgefunden. Aber wir hätten nie erwartet, dass so viele internationale Studenten teilnehmen würden. Jetzt ändert sich das hoffentlich wieder, denn wir sind bereit, die Mission zu lancieren!
Das klingt nach einem positiven Effekt der Pandemie?
Wir mussten alle lernen, wie man aus der Ferne arbeitet, und so hatten wir die Möglichkeit, das Projekt noch inklusiver zu gestalten. Wir entwickelten Tools und Anwendungen, die wir benötigten, um das Projekt voranzutreiben. Wirklich schwierig war und ist allerdings die Koordination über mehrere Zeitzonen hinweg!
Oh ja, wir wissen, wie sich das anfühlt! Was beschäftigt dich nun am Ende dieses wirklich aussergewöhnlichen Jahres? Haben sich die Ausrichtung deiner Studien zur Erde und den Weltraum durch die Pandemie grundlegend geändert?
Es ist wirklich schwierig, und wir leben alle in einer anderen Realität. Niemand hätte sich vor ein paar Monaten vorstellen können, dass so etwas passieren würde. Letzte Woche ging ich aus dem Haus und vergass meine Gesichtsmaske. Ich dachte, wow, das wird so ein Ding, das man bei sich haben sollte – so wie den Ausweis und den Rucksack.
Bei den Dingen, an denen ich arbeite, habe ich das Gefühl, je länger es dauert, desto schwieriger ist es für die Leute, sich zu konzentrieren, zu träumen und etwas anderes als die Pandemie zu sehen. Und das ist der Zeitpunkt, an dem ich denke, dass es unsere Aufgabe als Wissenschaftlerinnen ist, über anderes als COVID-19 zu zeigen – denn das gibt es! Wir befinden uns wohl an einem ganz entscheidenden Moment, denn man kann durchaus argumentieren, dass man sich angesichts der Probleme hier auf der Erde nicht um entfernte Dinge wie eine Mondmission kümmern sollte. Aber auch hier denke ich, dass es für alle wichtig ist, weiter zu träumen und sich auf Dinge zu konzentrieren, die uns inspirieren, jetzt mehr denn je.
Gibt es ein anderes grosses Projekt, an dem du gerade arbeitest?
Das gibt es, und vielleicht hast Du schon davon gehört: Es ist die Galactic Chloé Show, die von der EPFL mitbegründet wurde. Tatsächlich habe ich das erste Mal mit Kommunikationsleiter Mirko Bischofberger darüber gesprochen, als ich von swissnex San Francisco in die Schweiz zurückkehrte – wir kamen in Kontakt, weil einer eurer CEOs das Intro machte. Es stellte sich heraus, dass sich die EPFL bereits darüber Gedanken gemacht hatte, wie die Organisation in Zukunft kommunizieren könnte. Sie bezog dabei auch Mitarbeiter und Studenten mit ein. Dann kam COVID-19 und damit eine perfekte Gelegenheit, eine Wissenschaftssendung wie diese zu starten – mit einem klaren Fokus auf die Menschen, ihre Geschichten und die Dinge, die «hinter» den Kulissen und der Wissenschaft geschehen. Wir werden alle drei Wochen eine Folge produzieren.
Wer hat dich dabei unterstützt? Hast du so etwas wie einen Mentor?
Es waren mehrere. Ich würde sie in drei Gruppen einteilen: Die erste sind die Teams vom Swiss Space Center und vom EPFL Space Center – vor allem von deren Direktoren erhielten wir extrem starke Unterstützung: von Jean-Paul Kneib, einem renommierter Physiker und von Volker Gass, dem Direktor des Swiss Space Centers. Als ich in die Wissenschaftskommunikation eingestiegen bin, habe ich einfach an ihre Türen geklopft und ihnen einen Vorschlag gemacht – etwa so: «Ich habe weder das Geld noch die Werkzeuge, um das zu tun, aber ich habe die Idee und das Team, die mich unterstützen». Und als wir mehr und mehr Initiativen starteten, beschlossen wir, unsere Non-Profit-Organisation zu gründen.
Die zweite Gruppe sind einige unserer «Weltraum-VIPs». Besonders Claude Nicollier bedeutet mir sehr viel: Er ist nicht nur einfach ein Professor, sondern ein Vorbild und super inspirierend. Wann immer ich mit ihm spreche, gibt er einem das Gefühl, jemand aussergewöhnliches zu sein. Und er ist ein Astronaut! Es ist verrückt, wenn man darüber nachdenkt.
Zu guter Letzt bin ich meiner Familie sehr verbunden. Meine Eltern haben mich immer unterstützt, wenn ich sie brauchte. Sie sind grossartige Zuhörer und sind immer da, wenn ich sie brauche, sogar virtuell.
Erzähle mir mehr über deinen «Science Behind Moonwalking»-Talk: War das im Grunde der Vorgänger deiner Galactic Chloé Show?
Das ist eine schöne Geschichte, denn ich habe nicht nur dieses Non-Profit-Projekt ins Leben gerufen, sondern auch an verschiedenen Wettbewerben zur Wissenschaftskommunikation teilgenommen. Im Grunde genommen musste man eine wissenschaftliche Frage in drei Minuten vor einem grossen Publikum abhandeln. Und ich habe mich einfach dafür angemeldet, ohne so etwas je gemacht zu haben. In meinem Pitch ging es darum, «wie man die Erdanziehung verlassen kann». Es lief wirklich gut, aber ich habe mich auch unwohl gefühlt: Ich war im Grunde von all diesen superschlauen PhDs vom MIT umgeben und dachte mir, ‘was mache ich hier eigentlich?’ Am Ende habe ich den nationalen Publikumspreis gewonnen, das war sehr cool. Also machte ich weiter, ich glaube, ein paar Mal auf anderen Bühnen und wieder bei swissnex San Francisco. Es war eine fantastische Lernmöglichkeit und ein lustiges, inspririerendes Format: der «Science Behind Moonwalking»-Talk war geboren.
Ich habe ihn allerdings seit einem Jahr nicht mehr gemacht, denn mit Mondmission reden wir nicht mehr nur darüber, wie wir dahin gelangen können. Vielmehr arbeiten wir daran, wie wir diese Siedlung auf dem Mond aufbauen.
Cool! Es klingt, als hätte dieses Format etwas für sich: die Dinge ein bisschen spannender zu präsentieren und etwas unerwartet daher zu kommen?
Ja, und ich denke auch: je kürzer, desto besser. Es ist schwierig, Wissenschaft einfach und verständlich zu präsentieren, ich verstehe das. Aber wenn es gelingt, erreicht man mehr Leute und kann umso effizienter Wissenschaftskommunikation betreiben.
Warum ist es für dich wichtig, überhaupt über Wissenschaft zu sprechen? Warum interessiert dich das so sehr?
Der entscheidende Moment für mich war ein Wissenschaftspraktikum bei Clean Space One - und ich hatte das Gefühl, dass es einen grossen Bedarf an engagierterer Wissenschaftskommunikation gibt: Die meisten Universitäten öffnen einfach einmal im Jahr ihre Türen, und das war's dann. Bitte versteh mich hier nicht falsch, das ist überhaupt nicht negativ gemeint. Aber Menschen näher zur Wissenschaft zu bringen ist nicht der Sinn von Wissenschaftskommunikation. Es geht vielmehr darum, die Wissenschaft zu den Menschen zu bringen. Wer sich überhaupt nicht für Wissenschaft interessiert, wird nie zu einem Tag der offenen Tür auf den Campus gehen.
Das brachte mich auf die Idee, einen «Escape Room» zum Thema Weltraum zu kreieren, und damit ein viel breiteres Publikum anzusprechen. Hast Du schon einmal einen Escape Room gespielt? Wenn ja, bin ich mir sicher, dass Du dich noch an den Grossteil der Geschichte erinnerst. Es funktioniert einfach – und das hat sich einmal mehr gezeigt.
Wissenschaftskommunikation funktioniert meiner Meinung nach viel besser in den USA als in Europa: die Amis sind viel ungezwungener im Umgang mit anderen Menschen. Sie haben dieses Charisma und es gibt diesen ganzen Charakter, und man kann wirklich fühlen, was sie einen mitteilen wollen. Das ist in Europa weniger der Fall. Vielleicht neigen die Amerikaner dazu, zu viel zu erzählen und zu übertreiben. Ideal wäre wahrcheinlich ein Mittelweg.
Erzähle mir ein bisschen mehr über deine Erfahrungen in den USA und bei swissnex San Francisco
Ich war während des Sommers für sieben Wochen dort, und ich habe einige beeindruckende Persönlichkeiten bei Google und der NASA getroffen – und das Interesse an der Schweiz war riesig. Das Einzige, was ich nicht erwartet hatte, war, dass alle so aufgeschlossen sind. Sie wollten wirklich helfen und haben meinen «Escape Room» möglich gemacht. Es ist definitiv ein Ort, an dem man wirklich innovativ sein kann, weil man in der Stimmung ist, innovativ zu sein. Ich durfte sogar mit Eugene Tu, dem Direktor der NASA Ames, auf der Bühne stehen, das war gewaltig für mich. Apropos amerikanische Art des «networking»: Egal, wie man heisst, wie alt man ist oder was auch immer, jeder und jede ist verfügbar und man bekommt seine Chance für einen Pitch, und jemanden von einer Idee zu überzeugen.
Hier gibt es mehr über Chloés Erfahrung bei swissnex San Francisco: nextrends.
So habe ich das auch erlebt. Du bekommst deine Chance, und wenn du überzeugen kannst, werden die Türen für dich geöffnet!.
Ganz genau. Und das ist etwas, das sich in meiner Arbeitsweise niedergeschlagen hat. Als ich in die Schweiz zurückkam, habe ich mich einfach an den Kommunikationschef der EPFL, Mirko Bischofberger, gewandt – das hätte ich mich vorher nie getraut. Wir reden hier über die EPFL! Und jetzt machen wir eine Sendung zusammen.
Was ist dein ganz persönliches swissnex-Erlebnis?
Ihr verbindet die Schweiz mit der Welt in Forschung, Bildung und Innovation. Aber ihr seid auch viel mehr als das: Ihr seid für mich so etwas wie eine grosse Familie geworden. Es fiel mir schwer, Abschied zu nehmen. Ich fühlte mich mit vielen Leuten wirklich verbunden.
swissnex war ein grundlegender und logischer Schritt auf meiner Reise, wenn man so will:
Die Galactic Chloé Show wäre ohne das Team dort wahrscheinlich nie zustande gekommen. Den Escape Room hätte ich wahrscheinlich auch nicht entwickeln können. Übrigens versuchen wir gerade, ihn mit dem swissnex Science and Technology Office in Japan in ein digitales Erlebnis zu verwandeln – die Reise geht weiter.
Darüber hinaus hätte ich eines meiner jüngsten Projekte – Asclepios – ohne swissnex nie verwirklichen können. Ich konnte es mit vielen Personen bei der NASA Ames besprechen, und ich wurde auch Angelo Vermeulen vorgestellt, einem Forscher für Weltraumsysteme, der jetzt in den Niederlanden lebt. Ihm gefiel die Idee sehr gut, und seit wir die Initiative tatsächlich lanciert haben, sind wir regelmässig in Kontakt.
swissnex ist gerade 20 Jahre alt geworden – ein idealer Zeitpunkt, um nach vorne zu schauen und über die Zukunft von swissnex im Speziellen und des Schweizer BFI im Allgemeinen nachzudenken. Hast Du einen Rat für uns?
Oh wow, das ist eine knifflige Frage. Es ist nicht meine Aufgabe, zu entscheiden, was die nächsten Herausforderungen sein sollen. Aber ich werde sie wahrscheinlich mitgestalten, auf die eine oder andere Weise. Meine Erfahrungen als Studentin waren hervorragend. Für mich persönlich habe ich aber immer versucht, ein bisschen mehr zu tun als nur zu studieren. Ich hatte das Gefühl, dass all die Projekte, die ich nebenbei gemacht habe, für mich mindestens genauso relevant waren wie meine eigentliche Ausbildung. Und das ist es, was ich versuche, jedem zu vermitteln, mit dem ich spreche, vor allem Kindern: «think big and act big!» Mein Tipp: Stellt sicher, dass ihr an relevanten Dingen arbeitet, forscht, versucht, scheitert und weitermacht. So werden wir die Welt zu einem besseren Ort machen